Leadership & Karriere Auf die Straße: Dr. Severin unterzieht sich im Frankfurter Nachtleben dem Stresstest

Auf die Straße: Dr. Severin unterzieht sich im Frankfurter Nachtleben dem Stresstest

Das beste Feedback für das eigene Produkt? Nachts, von Beschickerten und Aggressiven. Wir sind mit dem Gründer von Dr. Severin zur Optimierung durch die Frankfurter Nacht gezogen

Überall schöne Menschen. Ach, Frankfurt. Läuft man am Abend in der späten Sonne am Mainufer entlang, strotzen einem die Läufer entgegen, die stolz das T-Shirt vom letzten Corporate-Lauf oder gleich das Logo von ihrer Beraterbude tragen. Auf den Wiesen am Wasser treffen sich Freeletics-Jünger in großen Gruppen und machen Aphrodite und Hades. Junge Menschen sitzen im Kreis und essen ganz unironisch Salate. Trägt man also den eigenen Berliner Currywurstbauch an dieser Szene vorbei, ist das wie eine einzige lang gezogene, nicht aufhören wollende Backpfeife.

Echt: Das alles ist sehr weit vom Messerstecherei-Schreckens-Frankfurt entfernt, das wir benötigen, um unser Probeprodukt auf die richtige Massentauglichkeit zu überprüfen. Auch in der ersten Test-Location bietet sich einem ein ähnliches Bild: Die Kunstsammlung Familie Montez, wo wir auf der Business-Punk-Party mit Gründer Peter Hart verabredet sind, hat nicht nur einen prima klingenden Namen, sondern zieht offenbar auch die Reichen, Schönen und Gepflegten ganz selbstverständlich an.

Passend, dass Peter Hart Gründer der Pflegeproduktmarke Dr. Severin ist. Man muss sagen, dass er so aussieht, als hätte er sich für unseren Termin selber in Gestalt eines Junior-PR-Managers vorbeigeschickt. „Ich bin Peter“, sagt er. Sehr jung, sehr sympathisch, sehr groß.

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Hart erzählt, dass er Luft- und Raumfahrttechnik studiert hat. Danach hat er ein paar Jahre in Frankfurt an der Börse gearbeitet, dann aber vor drei Jahren aufgehört und lieber selber gegründet. Y tho? Nun, die Arbeit in der Finanzwelt habe ihn zu sehr deprimiert und auch desillusioniert. Man kann nur nicken und ganz vorsichtig fragen: „Wie alt bist du noch mal?“ Als Antwort kommt: „26.“ Peter Hart nippt an der Flasche und guckt in die Ferne, als hätte er gerade den Colt gezückt und für Ordnung in der Stadt gesorgt, mal wieder. So reagiert einer, der jeden Tag auf sein Jungsein angesprochen wird. Jedenfalls steht fest, dass man Hart gar nicht erst groß auf die hier anwesende Frankfurter Smart-Elite loslassen sollte, die würden ihn und sein Produkt viel zu hemmungslos feiern. Wir müssen in andere Ecken.

Nerv ja nicht rum

dr-severinAber erst mal zum Produkt selber, das wir im Laufe der Nacht pitchen werden. Dr. Severin ist ein Aftershave für den ganzen Körper und bietet auch weitere Zusatzprodukte: Meersalz-Peeling. Cleopatra-Sugaring. Man will sofort mit Freeletics anfangen. Außerdem: Antibakteriell, keine Rötungen oder Rasierpickel, so weit das Versprechen. Hart hat es geschafft, dass Dr. Severin in 27 Ländern erhältlich ist. Bei Amazon.de ist das Produkt der meistverkaufte Aftershave-Balm. „Wie, fuck, alt bist du noch mal?“, frage ich Hart, der nachsichtig lächelt.

Im Taxi Richtung Bahnhofsviertel fällt Hart auf, dass er das Produkt nicht dabeihat. Wir lassen den Fahrer umdrehen. Dann fällt Hart auf, dass er nicht weiß, wie der Mietwagen aussieht, in dem er seine Tiegel gelagert hat. Langsam streunen wir mit dem Taxi so lange an parkenden Autos vorbei, bis ein Wagen blinkend auf die Schlüsselfernbedienung reagiert und wir das Zeug aus der Karre holen.

Danach fällt uns auf, dass keiner Cash in der Hose hat, weswegen wir uns an einem Random-Ort vor einer Sparkasse raussetzen lassen und der Taxifahrer genervt davonfährt. Wir streunen rum, nichts los auf den Straßen, bis wir an eine Bank kommen, wo zwei Männer entspannt rumsitzen. Beide tragen mächtige Bärte, der eine grau, der andere dunkel. Sie sind vom Angequatschtwerden nicht gerade begeistert. Perfekt: Peter Hart muss jetzt ran.

Und er macht es gut. Eloquent, mit Gefühl für das Gegenüber. Nur, das merkt man schnell, die beiden wollen auf kein Foto, keine Namen genannt wissen, überhaupt ist das so eine Freundlichkeit, die ein bisschen zu stark kontrolliert wirkt. Klar: Hier sollte man mit dem Pitch nicht allzu lange rumnerven, auch wenn das Produkt sicherlich wie gemacht ist für die beiden. Na ja. Ihr Verlust, nicht Harts.

Also weiter. Nichts ist mehr übrig vom sonnigen Spätsommertag, von der Mainuferromantik, der stolz im Abendglanz leuchtenden Vornehmheit des EZB-Gebäudes. Unterwegs erzählt Hart Gründerromantik, wie er mit Kollege Yves einst „auf dem Boden saß und Nudeln mit Butter und Salz“ gegessen hätte. Wir glauben kein Wort. Hart ruft Yves an: „Yves, was haben wir früher immer gegessen, sag mal schnell?“ Yves, auf Lautsprecher: „Nudeln. Mit Butter.“ „Und? Und?“, fleht Hart. „Saaalz!“, kommt es von Yves aus dem Lautsprecher. Okay.

Tapfer pitchen

Plötzlich finden wir uns in einem Absturz-Hotspot namens Moseleck wieder: „Hast du Geld?“, fragt Kollegin Julia, „ich bin jetzt nämlich pleite.“ „Nein“, sage ich und bestelle sechs Tequila, ahnend, dass sich so eine Bezahlsituation im Moseleck am Ende schon irgendwie einrenken lässt.

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Ein Typ sitzt in einer Ecke und hat sein Date auf dem Schoß, das aber derweil gründlich Ausschau hält, ob nicht noch was Besseres durch die Tür reinkommt. „Rasierst du dich?“, versucht es Peter Hart bei ihr als Einstieg in den Pitch. Zurück kommt Zusammenhangloses, das aber nicht unsympathisch ist. Trotzdem: Das Moseleck ist Anfang und Ende aller Albträume. Kurze Hoffnung: Will jemand das Zeug vielleicht mal ausprobieren? Es geschieht oft genug, dass Leute zu zweit oder zu dritt aufs Klo verschwinden und dann erst einige Zeit später gut gelaunt wiederkommen. Wenn dort so eine Anything-goes-Stimmung herrscht, dann warum nicht ein bisschen Aftershave auf – nein? Nicht.

Egal, denn Peter, mit der grandiosen Energie des Mittzwanzigers, pitcht derweil weiter stoisch zielgruppenfernen Thekenstehern Dr. Se-ve-rin. Die aber schütteln die Köpfe. Keine Chance. Aber was soll’s? Denn morgen wird das zum Glück für ihn wieder Amazon übernehmen. 26, Mann. 26!

Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 05/2016 der Business Punk. Titelgeschichte: Wie Siri-Erfinder Dag Kittlaus mit dem Sprachassistenten “Viv“ neue Standards setzen will. Außerdem unser Dossier AI, Ryanair-CEO Michael O’Leary und viele weitere Beiträge. Mehr Infos hier

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