Personal Finance DIY: Dieses Yoga-Seminar legt sich mit dem Kapitalismus an

DIY: Dieses Yoga-Seminar legt sich mit dem Kapitalismus an

Schlecht für die Bank, gut fürs eigene Karma. Ein Yoga-Seminar in Berlin legt sich mit dem Kapitalismus an.

Ich bin verwundet. Der Klassenkampf im Kapitalismus hat meinen Körper zerstört. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige. Gemeinsam mit mir wollen noch 15 weitere Menschen beim Feminist Economics Seminar lernen, wie sie sich von irdischen Besitztümern befreien und der Welt von Kreditrahmen und Zinseszins entkommen. Die Bankenkrise 2008 hat uns schließlich einen Vorgeschmack darauf gegeben, was allen droht, sobald die Wirtschaft einmal endgültig kollabiert. Dann wird das in diesem Seminar erworbene Wissen ohne Zweifel absolut überlebenswichtig sein.

Wobei: Eigentlich geht es mir sehr gut. Ich habe Arbeit, meine Miete kann ich pünktlich bezahlen, ich komme finanziell klar. Dass das alles ein Trugschluss ist, soll ich noch erfahren. Cassie Thornton heißt die Frau, die mich meiner wohlig-warmen Illusion berauben wird. Die aus Kalifornien angereiste Yogalehrerin leitet das siebenstündige Seminar, für das wir uns an ­einem Samstag in Berlin-Kreuzberg eingefunden haben. Ironischerweise an einem Ort, der sich „Supermarkt“ nennt.

Ich bin umgeben von bunten Pluderhosen, alle trinken grünen Tee und lächeln pausenlos. Während ich darauf warte, dass wir anfangen, trägt ein Typ mit geflochtenen Zöpfen kistenweise Schallplatten zum provisorischen DJ-Pult. Ich habe kaum Ahnung von Yoga und keine, was Yoga mit meiner Beziehung zu Finanzen zu tun haben soll, aber ich bin offen.

Du bist mehr als dein Konto

Als es losgeht, erklärt uns Cassie erst einmal zur „Feminist Militia“, wobei dieser Aspekt im Verlauf des Tages keine große Rolle mehr spielen wird. Dafür lernen wir, Yoga zum Werkzeug zu machen. Einem Werkzeug, die Verletzungen aus unserem Körper zu vertreiben, die uns der Kapitalismus zugefügt hat. Die erste Übung beginnt klassisch: Schneidersitz, die Hände vor der Brust nach oben geöffnet. Meinen Kopf soll ich so halten, dass er in meine Hände fällt, „wenn man ihn abschlägt“, sodass ich ihn jemandem geben kann, „der ihn wirklich braucht“. Dass ich ­meinen Kopf selber brauche, scheint ­keine Option zu sein.

Besitz ist schlecht, sagt Cassie. Und Worte, die Besitz ausdrücken, sind es auch. In Zukunft soll ich nicht mehr von meinem Kopf, meinem Geld oder meiner Jacke sprechen, sondern neutrale Artikel verwenden. Wir holen unsere – Pardon, die – Portemonnaies. „Keine Sorge, ihr müsst nichts bezahlen. Wir brauchen sie für die nächste Übung“, ruft Cassie. Ein Teilnehmer hat gar kein Portemonnaie dabei, ganz offensichtlich ist er schon deutlich weiter als ich.

Nun geht es in den Schneidersitz, Hände neben dem Körper, Augen geschlossen. In der einen Hand liegt das Portemonnaie, die andere Hand ist leer. Wir sollen an unseren Kontostand denken, alle lachen etwas verschämt. „Ihr seid mehr wert als euer Kontostand! Stellt euch vor, wie dieser Wert in eure Hand fließt.“ Es wird ein Stoffbeutel herumgereicht, in den alle „ihren eigenen Wert“ gleiten lassen. Ich fühle mich leer.

Zum Glück dürfen wir jetzt liegen und uns vorstellen, wir seien Hunde in der Sonne. Cassie fragt, ob wir uns schuldig fühlen. Eigentlich tut mir nur mein Rücken weh. Sie sagt, der Hund fühle sich auch nicht schuldig, obwohl er sein ganzes Leben unproduktiv sei. Sein Job als Wachhund sei der Alarmanlage zum Opfer gefallen, und trotzdem habe er ein erfülltes Leben. Genauso wie wir auch ein erfülltes Leben haben könnten, ohne Arbeit, ohne Geld, dafür mit Verbundenheit – dem Ziel der nächsten Übung. Im herabschauenden Hund stellen wir uns vor, wir hätten Schwänze. Dort ist nämlich ein weiteres Chakra versteckt, das uns mit allen Menschen auf der Welt verbindet. Vorstellen reicht dieses Mal nicht. Es werden Schaumstoffschwänze verteilt, die wir uns gegenseitig umbinden. Dann erzählen wir uns von unseren finanziellen Sorgen und fühlen die Probleme der anderen.

DIY Yoga

Die nächste Übung verstehe ich offenbar falsch. Wir sollen uns eine Mauer vorstellen: Meine ist aus rotem Backstein. Dann sollen wir sie mit bloßen Händen durchbrechen. Hätte ich das gewusst, wäre meine Mauer aus Sand gewesen. Die Mauer symbolisiere unser Verhältnis zu Geld, verrät man mir danach. Und? Ein Psychologe könnte mir dazu sicherlich einiges sagen, Cassie lässt es so stehen. Doch als mir eine Teilnehmerin erzählt, dass sie beim Durchbrechen ihrer Mauer auch an meine finanziellen Sorgen denken musste, bin ich gerührt. Vielleicht haben uns die Chakra-Schwänze tatsächlich verbunden.

Nach Stunden voll von Yoga, Nachdenken über meinen Kontostand und dem Durchbrechen imaginierter Mauern ist mir Geld plötzlich sehr egal. Ich überlege kurz, ob ich kündigen will und mich dem Hamsterrad entziehe. Aber während mir die Qualen des Kapitalismus vorher nie bewusst waren, sind meine Rückenschmerzen real. Tatsächlich kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als Montag statt auf dem Boden wieder auf dem Schreibtischstuhl zu sitzen und für den Kapitalismus zu arbeiten. Und sollte mir demnächst mal ein ausgereizter Dispo auf der Seele liegen, dann habe ich ja immer noch den Schaumstoffschwanz.

Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 02/2017 der Business Punk. Titelgeschichte: “Berlin. Deutschlands überschätzteste aufregendste selbstverliebteste ehrgeizigste Startup-Szene.“ Mehr Infos gibt es hier.

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